Stosswallfahrt

Noch vor dem Morgengrauen weckt die grosse Glocke der Pfarrkirche St.ꢀMauritius die Gläubigen. Das «Schreckläuten» am zweiten oder dritten Sonntag im Mai ist um halb fünf Uhr morgens fast im ganzen Kanton zu hören und erinnert an das Gelöbnis der Appenzeller: Nach der siegreichen Schlacht am Stoss im Juni 1405 gelobten sie, immer am Fest des heiligen Bonifatius (14. Mai), noch vor der Heuet also, zum Schlachtfeld zu wallfahren, um Dank zu sagen für die errungene Freiheit und um der Gefallenen zu gedenken. Die Stosswallfahrt gehört zu den ältesten und urtümlichsten Traditionen im Appenzellerland.

Um sechs Uhr morgens setzt sich bei der Pfarrkirche St.Mauritius in Appenzell die Prozession zum neun Kilometer entfernten Stoss in Gang. Aus jedem Haus sollte ein ehrbarer Mann daran teilnehmen, lautete einst das Versprechen. Für die Mitglieder der Standeskommission und des Kantonsgerichts sowie die Innerrhoder Bezirkshauptleute ist die Wallfahrt Pflicht. Voraus gehen Polizei und Fahnenträger; ihnen folgen Ministranten und die Geistlichkeit, danach die Behördenmitglieder und zum Schluss Mitglieder der Studentenverbindung Rotacher und die übrigen Gläubigen, seit 1991 auch Frauen und Mädchen.

Auf halbem Weg, beim Sammelplatz, verliest der Ratschreiber den Fahrtbrief in altertümlicher Sprache. Darin wird das Schlachtgeschehen geschildert, und die gefallenen Appenzeller und die verbündeten Glarner und Schwyzer werden aufgezählt – unter ihnen auch Ueli Rotach, der legendäre Freiheitsheld der Appenzeller. Für sie alle werden fünf Vaterunser gebetet.

Das Land Appenzell war, als es sich von fremden Vögten und vom Diktat des Abtes von St.ꢀGallen befreite, noch ungeteilt. Die Landteilung in einen katholischen und einen reformierten Kanton erfolgte 1597, dank geschickter Vermittlung durch sechs andere Kantone, ohne Blutvergiessen.

Ein grosser Teil des Pilgerwegs führt heute über Ausserrhoder Boden. Auf Teilen der Wegstrecke – je nach Witterung entlang der Strasse oder über Wiesen – beten 300 bis 500 Wallfahrende den Rosenkranz. Nach der Ankunft bei der Kapelle wird im Freien der feierliche Gottesdienst abgehalten, umrahmt von der Musikgesellschaft Harmonie Appenzell. Nach einer kurzen Rast fahren die Pilgerinnen und Pilger mit Extrazügen wieder zurück nach Appenzell.

Ort

Appenzell – Sammelplatz – Gais – Stosskapelle

Zeit

Zweiter oder dritter Maisonntag, 6.00 Uhr
Die Stosswallfahrt findet am 12. Mai 2024 statt.