Gebetsheilen

In Appenzell Innerrhoden leben gegen 30 Heiltätige, die mit Hilfe von Gebeten Schmerzen oder Heimweh nehmen, Blut stillen oder Warzen und andere Hautkrankheiten vertreiben können. Sie verwenden dazu geheime Heilsprüche und Segensformeln, die zum Teil seit dem Spätmittelalter belegt sind. Im Dialekt heisst es, einer «tuet fö Hitz ond Brand».

Die Heiltätigen sind medizinische Laien, die sich auf volksmedizinisches Wissen stützen und ihre Heiltätigkeit meist als Gebet verstehen oder in enger Verbindung mit Beten ausüben. Manche fordern die Hilfesuchenden oder ihre Angehörigen dazu auf, ebenfalls Gebete zu sprechen, um die Wirkung zu unterstützen.

Das Heilen ist für sie eine von Gott gegebene Gabe, die sie im Verborgenen und als Nebenbeschäftigung ausüben. Gebetsheilende werden in der Bevölkerung aufgrund eigener Erfahrung oder aufgrund von Berichten über erfolgreiche «Behandlungen» weiterempfohlen. Die Patienten kommen aus allen Bevölkerungsschichten, der Grossteil sind Einheimische.

Voraussetzung für die Fähigkeit zum Gebetsheilen sind Mitleid, Barmherzigkeit und der Sinn für Gerechtigkeit. Für die Heiltätigkeit darf kein Honorar verlangt werden, da die Gabe sonst verloren gehen könnte. Für die Hilfesuchenden gilt jedoch: Etwas geben sollte man; für die Heilenden: Etwas verlangen darf man nicht, Geschenke annehmen hingegen schon.

Gebetsheilen funktioniert auch auf Distanz, ja sogar wenn der Kranke nichts davon weiss. Am häufigsten werden Gebetsheiler in Anspruch genommen bei Fieber, Entzündungen, Schmerzen vor und nach Operationen, um die Heilung zu fördern und den Patienten zu beruhigen, und bei Hautkrankheiten. Eine Spezialität ist das Nehmen von Heimweh.

Bei hartnäckigen dermatologischen Erkrankungen wird der Heiltätige meist aufgesucht. Dieser umfährt (berührt) die befallene Haut, am besten bei «schwiinegem» (abnehmendem) Mond.

In vielen Fällen werden die Heiltätigen zusätzlich zur schulmedizinischen Behandlung konsultiert. Häufig werden die Gebetsheilenden auch von Bauern bei Tierkrankheiten beigezogen.

Die Kraft für das Heilen wird von Generation zu Generation weitergegeben. In der Regel werden dabei Abschriften der Heilsprüche weitergereicht und die alten Spruchhefte vernichtet.